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Der Stein, den der Mann geworfen hat, ist ein Telefongespräch

3. September 1966, Chicago

Martin Luther King wird "von einem scharfkantigen Stein getroffen. Ein junger Mann hat gezielt geworfen. Der schwarze Pfarrer bricht zusammen; wir sind alle verängstigt. Und King? Er ist empört, ja schnaubt vor Wut. Seine erste Reaktion ist also keineswegs aggressionsfrei. Er ist kein Heiliger. Aber nach etwa acht Minuten verlangt er, mit dem jugendlichen Gewalttäter zu sprechen. Jetzt. Sofort. Der Stein, den der Mann geworfen hat, ist ein Telefongespräch mit mir, das nicht durchgekommen ist, sagt King, eine missratene Kontaktaufnahme."
(Aus: Hans-Eckehard Bahr, Martin Luther King. Für ein anderes Amerika, Berlin 2004, S. 16)

Aus dem OP

Christoph Schulthess

Es ist an der Zeit zu makroskopieren.

Sind wir auf dem Weg der Analyse nicht schon sehr weit, oder gar zu weit gegangen? Haben wir nicht ausgiebig genug mikroskopiert? Zu immer kleineren Oberflächen sind wir trickreich vorgedrungen, über deren Sinngehalt und Zusammenhang im Weltganzen sich immer grössere fragen erheben. Sehen wir genauer hin, bemerken wir: die Beantwortungsversuche haben ein Wortgespensterreich geschaffen mit dem Namen Naturwissenschaft.

Wir begeben uns mit dem Erfassungsbereich und Massstab unserer sinne auf die Suche nach der Wirklichkeit. das ist Makroskopieren. die staunende Sinnlichkeit ist es, die uns die Tore öffnet zu einem erlebenden verstehen des jetzt.

Wird so Wissenschaft ethisch?


Christoph Schulthess, Facharzt für Allgemeinmedizin an der Ita Wegman Klinik, Arlesheim (Schweiz)

Jeder weiß doch, was gemeint ist.

Lydia Fechner 26. 6. 2007

Was ist an der Zeit?
Eine einfache Frage. Jeder weiß doch, was gemeint ist. Das „Was“, das Subjekt des Satzes, fragt nach einem unbekannten Gegenstand oder nach einer Tat, die in der Gegenwart – also jetzt – zu realisieren ist. Wir gehen einfach davon aus, dass bestimmte Dinge oder Verrichtungen einen richtigen, und damit auch einen falschen Zeitpunkt haben.
Wie gehen wir dabei vor? Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Geben wir zu: wir stellen uns das räumlich vor. Der „Block“ der Vergangenheit, fest, unveränderlich, hinter uns liegend. Der „Punkt“ des Jetzt, der bei näherem Hinschauen in ein Nichts verschwindet. Ein weiterer, unbekannter „Block“, der vor uns aufgestellt die Zukunft darin verschwimmen lässt. Dabei ist seltsam, dass wir in unserem Bewusstsein ganz anders vorgehen, als diese Vorstellungen von Zeitabschnitten es nahe legen.
Denn das Bewusstsein selbst ist immer gegenwärtig, also im Jetzt lebend. Es vergegenwärtigt etwas Vergangenes in der Erinnerung; es lebt im Moment; es macht sich gerade (also gegenwärtig) eine Vorstellung von der Zukunft.
Wir nehmen aber, trotzdem unser Bewusstsein immer in der Gegenwart lebt, wahr, dass so etwas wie Zeit verstreicht. Das heißt, die Dinge stehen nicht räumlich nebeneinander vor uns wie ein unveränderlicher Block. Sie geschehen in einer Abfolge, nacheinander. Es gibt eine staunenswerte Interaktion zwischen einem Innenleben der Gegenwärtigkeit und einem Anderen, das in ein Vergangenes, ein Jetzt, eine Zukunft zerfällt. Was beide Seiten verbindet ist oberflächlich gesagt - unser Denken. Indem wir aktuell denken, qualifizieren oder bestimmen wir einen Eindruck erst als vergangen, gegenwärtig, in der Zukunft liegend. Dadurch entsteht Wirklichkeit.
Wenn ich darüber nachdenke, was an der Zeit sein könnte, hängt es also zunächst davon ab, was ich für eine Vorstellung davon habe, wohin die Menschheitsentwicklung oder meine eigene Entwicklung zu gehen habe. Und das hängt natürlich auch davon ab, wie ich die Vergangenheit verstehe. Wohin soll es gehen? Zum Guten? Zur Anthroposophie? Zum Individuellen, zum Sozialen, zur Auflösung oder Vergeistigung?
In diesem Prozess zwischen Wahrnehmung und Denken spielt sich etwas ab, das sich normalerweise unserer Aufmerksamkeit entzieht. Halten wir also inne.
Wenn ich hier nicht halt mache, kann die nächste Forderung nur noch lauten: wie erfülle ich das Zeitsoll? Den Weltenplan, das Geforderte? Sollen wir uns also keine Vorstellung machen?
Auch die Vorstellung, Zeitgenosse sein zu müssen, fordert mir ein gesetztes Soll ab, wenn ich denn beantworten kann, was das genau heißt.
Lassen wir uns jetzt Zeit, die Frage nicht vorschnell zu beantworten?

Wer es ehrlich meint mit der sozialen Frage

Thomas Brunner, August 2007

„Gerade wer es ehrlich meint mit der sozialen Frage in der Gegenwart, der muss immer wieder und wiederum betonen: Notwendig ist vorallen Dingen eine freie Entfaltung geistiger Wissenschaft. Das ist nicht irgendwie die Einführung eines Unpraktischen in das gegenwärtige Leben, sondern das ist das Allerallerpraktischte, weil es unmittelbar, wirklich notwendig ist.“ (aus: Rudolf Steiner, 22. März 1919, GA 190, Dornach 1980, S.43f)

Die anthroposophische Bewegung bedarf einer Orientierung an ihrem geisteswissenschaftlichen Ursprung, insbesondere an Rudolf Steiners grundlegendem erkenntnistheoretischen Freiheitswerk – wenn sie nicht zusehends zu einer kontraproduktiven Bewegung werden will.
Nach Rudolf Steiners Tod 1925 gelang es nicht unmittelbar die vermeintlich widerstrebenden Kräfte der treuen Werk-Bewahrung und der eigenständigen Werk-Erarbeitung und -Fortführung zu einen. Rudolf Steiners Integrationskraft fehlte, 1935 zerbrach die anthroposophische Gesellschaft auch äußerlich, die konservativen Kräfte übernahmen die Verwaltung der Gesellschaft und gewährten somit eine äußerliche Kontinuität – doch vielerlei innovative Kräfte wurden in die Peripherie zerstreut.
Nach 1945 begann mit dem Wiederaufbau des zerstörten Europas zugleich auch die neue Epoche der Etablierung der anthroposophischen Einrichtungen, die sich - mit dem Übergang der noch mit dem Milieu des Wirkens Rudolf Steiners verbundenen Persönlichkeiten in die erste Nachkriegsgeneration - immer weitreichender vollzog. Diese Etablierungstendenz, d.h. insbesondere diese Hinwendung zu staatlicher Anerkennung (und Subventionierung) ist immer mehr zur bestimmenden Tendenz geworden – mit der die Grundlagenarbeit allerdings nicht Schritt gehalten hat. Denn durch dieses „Einnisten“ in die bestehenden Verhältnisse wurde die Anthroposophie selbst immer mehr verbürgerlicht und dadurch ihres Wissenschaftscharakters beraubt. Die ursprüngliche geistige Impulskraft hat sich somit in die Zweige „praktischer“ (angewandter) Anthroposophie ergossen, doch die eigentliche geistige „Humusbildung“ wurde nicht entsprechend geleistet. Dies zeigt sich beispielsweise im Verhältnis der enorm expandierten Waldorfschulbewegung zur zusehends verkümmernden Anthroposophischen Gesellschaft. D.h. die anthroposophische Bewegung ist zwar zu einem in immer weiteren Kreisen anerkannten Faktor der bürgerlichen Gesellschaft geworden (mittlerweile gibt es skurriler Weise ja sogar schon eine Professur für Eurythmie…) - doch ihre eigentliche Innovationskraft in wesentlichen Fragen der Gegenwart ging im Laufe dieser pragmatisierenden Tendenz fast unter. Diese Misere wird etwa in einem Interview mit dem ehemaligen deutschen Innenminister Otto Schily deutlich, der (immerhin als Verfasser eines Nachwortes zu Rudolf Steiners Schrift „Die Kernpunkte der sozialen Frage“) ehrlich bekennt: "Die schwierigste Frage ist eigentlich die - und ich bin in diesem Punkt noch zu keiner Antwort gekommen, das sage ich ihnen ganz ehrlich: Wie organisiert sich das autonome, selbstständige Kultur - und Geistesleben? Das ist die schwierigste Frage." (Zitiert aus: Das Goetheanum, Nr. 6 / 2007) Dieses ehrliche Bekenntnis macht exemplarisch deutlich: die Erbschaft ist aufgebraucht!

Deshalb ist es an der Zeit, sich einmal wirklich wieder an Rudolf Steiner zu erinnern:

„Hat diese Anthroposophische Gesellschaft in irgendeinem Staate je eine Staatssubvention gehabt? Sind ihre Lehrer von einem Staate angestellt? Ist nicht alles erfüllt gerade in dieser Anthroposophischen Gesellschaft, was nur zu erlangen ist von den äußeren Geistesorganisationen? Ist sie nicht in Bezug darauf geradezu das praktischste Ideal? [...] Nicht das kann unsre Aufgabe sein, hier das freie Geistesleben herein zutragen, sondern das kann die Aufgabe sein, dass Sie dasjenige, was hier als freies Geistesleben immer existiert hat, dass Sie das in die andere Welt hinaustragen, den Menschen klarmachen, dass alles Geistesleben von dieser Art sein muss, von dieser Art von Verfassung sein muss.“
(aus: Rudolf Steiner, GA 190, Vortrag vom 14. April 1919, S.)

Denn: „In dem einen der drei Glieder des sozialen Organismus strebt diese Idee ein Zusammenwirken von Menschen an, das ganz auf den freien Verkehr und die freie Vergesellschaftung von Individualität zu Individualität begründet ist. In keine vorbestimmte Einrichtung werden da die Individualitäten hineingezwängt. Wie sie einander stützen und fördern, das soll lediglich daraus sich ergeben, was der eine dem andern durch seine Fähigkeiten und Leistungen sein kann. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass sich viele Menschen gegenwärtig noch gar nichts anderes vorstellen können, als dass bei solch freier Gestaltung der menschlichen Verhältnisse im geistigen Gliede des sozialen Organismus nur anarchische Zustände innerhalb desselben sich ergeben müssten. Wer so denkt, der weiß eben nicht, welche Kräfte der innersten Menschennatur dadurch an ihrer Entfaltung verhindert werden, dass der Mensch in die Schablonen hinein entwickelt wird, die ihn vom Staats- oder Wirtschaftsleben aus formen.”
(aus: Rudolf Steiner, Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus, GA 24, S.71f)

Oder an Christian Morgenstern:

Wir wollen keine Politik
wir hassen diese Drachensaat;
wir wollen nur einen Sieg:
den über den Staat.

Oder an Wilhelm von Humboldt:

„Wie jeder sich selbst auf die sorgende Hilfe des Staats verlässt, so und noch weit mehr übergibt er ihr das Schicksal seines Mitbürgers. Dies aber schwächt die Teilnahme und macht zu gegenseitiger Hilfsleistung träger.“
(aus: Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Stgt. 2002, S. 34)

Oder?

Feuer im Kamin machen

Ricarda Brunner 2005

Es war Winter.
Die Zeit in der man, in sich gekehrt
vor der Welt flüchtet
um im Warmen Schutz zu suchen.
Seit ein paar Tagen war es gefroren kalt
und seit Wochen
schneite der Schnee uns ein.
Es war eben nicht mehr der Herbst,
in dem man besinnlich durch die Straßen wandert
dem Rascheln der toten Blätter lauschend.
Erfüllt von herbstlichen Farben
dem was sie
in uns
sind
und dem Gefühl
gewollt - allein zu sein
Glücklich nach Hause zu kommen
und auch hier erlebt man den Herbst.
Hinter vorgezogenen Gardinen
sitzt man beim Tee
und denkt.
Man denkt bis es zu viel wird
um all dem gegenüber treten zu können.
Dann nimmt man einen Stift und schreibt...

Man schreibt bis es Winter wird.
Das kündigt sich an
steif werden die Hände von der Kälte .

Und eben so, saß ich also da
hatte schon vor Wochen diese Kälte in den Fingern gespürt
ich hatte erkannt
dass es an der Zeit ist
Feuer im Kamin zu machen

Feuer
Damit der Raum warm ist
wenn es darum geht
die Gedanken aus ihrer Starre zu befreien -
um so den Winter
doch noch zu einer besinnlichen Zeit zu erheben.

Im Herbst wusste ich
dass es wieder Frühling wird
und die Bäume aus eigener Kraft wieder grün werden

Jetzt im Winter zweifele ich an dieser Kraft
Der Blick nach Draußen zeigt etwas anderes.
Es ist als hätten die Bäume nie Grün getragen
sie sehen so schwach aus
als wären sie nicht fähig
die Farben - wären sie da
zu tragen
All dies hat auch sie nach Innen gedrängt
An ihren Farben also können wir uns
in diesen Momenten nicht erfreuen
Wir müssen uns etwas anderes suchen
Damit wir nicht auf den Frühling warten
denn wie es aussieht
lässt er uns für immer allein.

Es ist nun also nicht mehr die Zeit
in welcher die Gedanken
geradezu verlangen gedacht zu werden.

Es war Morgen
Seit Tagen war ich nicht zur Ruhe gekommen
hatte die Nacht zwar geschalfen
aber schon wieder hatte ich nichts mitnehmen können
ich fror
Stand auf und ging über die kalten Dielen
zum Kamin
Das Holz war verbrannt

Ich zog mir also besinnlich träumend noch
den Mantel über
um hinter der Tür noch inne zu halten
Dann begann der Tag.
Ich schloss auf und trat vor die Tür
ein kalter Stoß umfasste mich
Diese Winterluft
jetzt versucht sie schon
mich rücklings wieder ins Haus zu drängen
um dann, mich überwältigt
alle Räume in Besitz nehmen zu können.

Ich war auf dem Wege neues Feuer zu entzünden.