beitragende | zeitplan | papier kkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkk blog






Avenir

Johannes Nilo

Gälte der Blick der unmittelbaren Gegenwart mit ihrer Vielfalt an Formen, wäre die Frage ›wo stehen wir heute?‹ angemessener als die etwas sonderbare Formulierung ›was ist an der Zeit?‹ Oder ›was ist zeitgemäß?‹, ›was ist in?‹, ›was ist modern?‹, die alle nach dem Unmittelbaren fragen, nach dem, was in der Zeit ist. Die Perspektive ist hier offensichtlich eine andere. Die Antwort ist nicht unmittelbar in den Erscheinungen der Gegenwart zu suchen. Nicht der Ist-Stand der Gegenwart gibt uns die Antwort an die Hand. Der Blick gilt vielmehr der Zukunft. Aber auch diese muss genauer angeschaut werden.
Wir können uns eine Zukunft, die eine reine, mechanische Fortsetzung der Vergangenheit, d. h. eine kaschierte Vergangenheit, darstellt, vorstellen. Jacques Derrida macht genau diese Beobachtung einer absehbaren Zukunft und legt eine zweite, man könnte sagen eine ›reine‹ Form von Zukunft frei: ›Ich bevorzuge das Wort ›Avenir‹, das Kommende, die zukünftige Zeit, denn es bezieht sich auf jemanden oder etwas, das kommt und das in seiner Ankunft nicht vorhersehbar ist. Für mich ist das die wahre Zukunft. Das Unvorhersehbare. Das oder der Andere kommt, ohne dass ich es oder ihn erwarte. Wenn es also eine wahre Zukunft jenseits der Zukunft gibt, dann ist es die zukünftige Zeit im Sinne des Kommens des Anderen, und zwar dann, wenn ich es nicht vorhersehen kann.‹
Hervorheben möchte ich die Haltung Derridas dem Kommenden gegenüber; mit dem Anderen rechnen, ohne ihn durch einen analytischen Zugriff bestimmen zu wünschen. Dadurch öffnet sich ein Möglichkeitsraum der Zeit, der die Gegenwart in ein anderes Licht stellt. Ausgehend von dieser Perspektive bekommt die Frage ›wo stehen wir heute?‹ ihren Sinn aus der Frage ›was ist an der Zeit?‹ Die Frage so zu stellen, ermöglicht eine Befreiung der Gegenwart aus dem Bann der Mechanik der unaufhaltsam fort spinnenden, rastlosen Zeit.
Damit ist schon ein weiterer Aspekt der Frage angedeutet, nämlich der aktivistische. Wir haben keinen analytischen Zugriff auf das Kommende, jeder Versuch, etwas zu fixieren, wird deshalb einen synthetischen Charakter tragen. Die Frage ›was ist an der Zeit?‹ fordert eine Entscheidung, was sein soll, eine Setzung, die aus der Gegenwart selbst nicht ableitbar ist.
In diesem Sinne soll die Tagung einen Möglichkeitsraum der Zeit aktivieren, dem Anderen einen Raum geben, auf das Kommende hören und letztlich Initiativen der Einzelnen stimulieren.
Das Schwarze Telefon, welches als Logo für die Tagung dient, drückt die Ambivalenz von Gelassenheit und Aufforderung, von Hellhörigkeit und Initiative aus. Auf das Kommende einerseits hören und andererseits selber etwas In-die-Zeit-Setzen. Wird das Telefon klingeln, d. h. soll ich mich hinsetzen und warten, bis jemand mich anruft oder soll ich anrufen?
Warten oder Initiative ergreifen? Ich glaube beides. Wir haben keine Verfügungsgewalt über die Zeit und doch sind wir deren Initiatoren. Kennen wir die Methode? Wissen wir, wie wir vorgehen sollen? Gibt es ein Telefonbuch, wo wir die Nummer nachschlagen können, wissen wir überhaupt, wen wir anrufen wollen? Mit wem möchte ich sprechen? ‹

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen